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Der Iran in den türkischen Printmedien

Bilder wie diese sind in der Türkei selten: vereinzelte Proteste vor der iranischen Botschaft in Ankara am 16. Juni 2009.
Foto: Current News Stories /Creative Commons 2.0

24. Juni 2009
Von Ulrike Dufner
Während Tausende von Demokraten und Demokratinnen auf den Straßen der Türkei gegen die israelische Politik im Gazastreifen protestierten, wartet man heute vergebens auf Solidaritätsbekundungen für die DemonstrantInnen im Iran und auf Protestkundgebungen gegen die Repressionen der iranischen Regimes. Auch die türkische Regierung zeigt keine Neigung, sich kritisch zu den Vorgängen im Iran zu äußern. Im Gegenteil: Als eine der ersten Regierungen des Westens beglückwünschte sie Ahmadinedschad zu seinem Wahlsieg.

Von Ulrike Dufner

Während man in der Türkei eigentlich eine eher emotional aufgeladene Berichterstattung gewohnt ist, welche die LeserInnen außer Atem hält, verhält sich die Presse in Bezug auf die Entwicklungen im Iran bisher ungewöhnlich nüchtern. Zwar haben es die Ereignisse im Iran mittlerweile auf die Titelseiten jeder Tageszeitung geschafft. Aber als Leser fühlt man sich wie in einer Fernsehserie, wartet auf den nächsten Höhepunkt und bleibt komplett Zuschauer der Ereignisse. Man wird informiert über die Demonstrationen, die Toten, die Verhaftungen und die Reaktionen von Ahmadinedschad, die Stellungnahme von Khamenei am vergangenen Freitag und die Haltung von Mussawi sowie Khatami. Man gewinnt nicht den Eindruck, dass über die brutalen Repressionen im Nachbarland berichtet wird. Was ausbleibt, ist eine Solidarisierung mit den DemonstrantInnen oder gar eine Analyse der Hintergründe.

Das Bild in den türkischen Medien

Der Tenor der wenigen analytischen Artikel setzt sich einerseits mit der Frage auseinander, ob Mussawi für eine Systemalternative oder „nur“ für ein liberaleres Regime – aber immer noch islamisches Regime – plädiert. Betont wird, dass der Westen in seiner Unterstützung für Mussawi letztlich einer Hoffnung aufgesessen sei, die bei genauerem Betrachten der Realität nicht Stand hält. Zum einen hätte Mussawi auch ohne Wahlfälschungen die Wahlen verloren. Denn eine derart hohe Wahlfälschung sei kaum vorstellbar. Zum anderen, und vielleicht wichtigeren, stehe er zwar für eine politische Liberalisierung des Regimes, nicht aber für eine Politik des sozialen Ausgleichs. Daher sei Mussawi nur im eher bürgerlichen Teil von Teheran und in den Städten gewählt worden. Im eher verarmten Süden Teherans und auf dem Land, das insbesondere von Verarmungsprozessen bedroht sei, habe er jedoch keinen Rückhalt. Hier greife weiter der nationalistische Populismus von Ahmadinedschad.

Die derzeitigen Proteste gehen - so die Analysten weiter - von einer Generation junger Menschen aus, die nicht vom Iran-Irak-Krieg und auch nicht von Nationalismus geprägt ist. Es handle sich um die Generation, die bereits unter dem iranischen Regime geboren und aufgewachsen sei. Diese Generation strebe keinen Regimewechsel, sondern allenfalls eine Lockerung des bestehenden Systems insbesondere im Bereich der Grundfreiheiten an.

Man könne auf keinen Fall davon ausgehen, dass Mussawi und seine Anhänger eine andere Haltung in der Nuklearfrage oder gegenüber dem Westen anstreben als Ahmadinedschad. Allenfalls wäre die harte Gangart von Ahmadinedschad auf dem internationalen Parkett durch einen eher kooperativen Führungsstil abgelöst worden.

Das heißt, dass die Interpretation in den türkischen Medien hinsichtlich der Opposition im Iran lässt sich folgendermaßen zusammenfassen: Erst die massiven Wahlfälschungen und Ereignisse nach den Wahlen haben aus den Wählern von Mussavi eine Oppositionsbewegung werden lassen. Diese werden erst durch die Repressionen zunehmend in Opposition zum Regime getrieben, ohne dies ursprünglich intendiert zu haben. Betont wird immer wieder, dass die aktuelle Situation im Iran nicht mit den Umständen unmittelbar vor der iranischen Revolution im Jahr 1979 vergleichbar oder gleichzusetzen sei. Es bestehe keine vorrevolutionäre Situation, in der das Regime und bestehende politische System grundlegend herausgefordert werde.

Der Obama-Faktor

Betont wird auch, dass sich die Religiösen bereits vor den Wahlen auf die Seite von Ahmadinedschad gestellt und im Fall eines Wahlsieges von Mussavi mit einem Einschreiten der Revolutionswächter gedroht haben. Lediglich ihr starker Pragmatismus könne dazu führen, dass sich diese Kreise am Ende doch noch von Ahmadinedschad abwenden. Hier komme der Obama-Faktor zum Tragen: Während Ahmadinedschad das „passende“ Pendant zu US-Präsident Bush war, benötige der Iran heute einen geeigneten Gegenspieler zu Obama. Entweder werde sich Ahmadinedschad auf Druck der Religiösen zu einem eher dialogbereiten Politikstil gegenüber den USA bewegen oder aber unter den Druck der Religiösen geraten. Das bedeutet jedoch nicht notwendig, dass der Iran seine Haltung in der Nuklearfrage aufgeben würde.

Während die westlichen Regierungen nach der Wahl erst einmal abwarteten und schwiegen, gratulierte die türkische Regierung, Ministerpräsident Erdogan sowie Staatspräsident Gül, Ahmadinedschad als eine der ersten zu seinem Wahlsieg. Außenminister Davutoglu betonte in einem Interview auch dann noch, als erste Tote auf den Teheraner Straßen zu beklagen waren und Hunderte von Oppositionellen verhaftet worden waren, dass die türkische Regierung an guten Beziehungen zum Nachbarstaat interessiert sei. Die Stabilität im Iran sei von zentraler Bedeutung für die Stabilität in der Region. Es gab von türkischer Seite bis heute keinerlei kritische Äußerungen zu den Repressionen gegen die DemonstrantInnen oder den Wahlfälschungen. Nur vereinzelte Beiträge in den Printmedien setzen sich kritisch mit der Haltung der türkischen Regierung auseinander. Vermutet wird, dass die türkische Regierung bisher gut mit dem iranischen Regime unter Ahmadinedschad insbesondere in der Kurdenfrage kooperiert habe. Sie sei nicht an einem Iran interessiert, der zumindest vorübergehend ein unkalkulierbarer Nachbar darstellt.

Zurückhaltung - hoch im Kurs

Bemerkenswert ist, wie zurückhaltend allgemein die demokratisch gesinnte Opposition und die kritischen Kolumnisten insgesamt sind. Weder wird die unkritische Haltung der türkischen Regierung problematisiert, noch gibt es – im Unterschied zu den israelischen Angriffen auf Gaza - Aufrufe zu Demonstrationen oder Protestkundgebungen von Seiten der Menschenrechtsorganisationen oder anderer demokratisch gesinnter Kreise. Dies lässt sich damit erklären, dass das Freund-Feind-Schema oder Schwarz-Weiß-Schema hier nicht so leicht greift: Eine Solidarisierung von religiösen Kreisen wie im Fall von Gaza ist im Fall der iranischen DemonstrantInnen nicht so leicht zu bewerkstelligen. Die religiöse Bruder- bzw. Schwesternschaft reicht hier schlicht nicht aus. Es würde dann doch auch eines fundierten Menschenrechtsverständnisses bedürfen, um sich zu solidarisieren.

Ein weiterer Faktor dürfte eine Rolle dabei spielen, dass eine Solidarisierung mit den iranischen Oppositionellen und eine klare Haltung gegen die Repressionen offensichtlich schwer fällt: Angesichts des international jahrelang von vielen Seiten genährten Gegensatzes Orient-Okzident, angesichts der Islamophobie und des Kampfs gegen den Islam eines George W. Bush fällt es schwer, die Orientierung in diesem Konflikt zu finden. Obwohl allen klar ist, dass die Argumentation von Ahmadinedschad gegenüber den „westlichen“ Journalisten reine Propaganda ist, kann man sich nicht zu einer klaren Haltung durchringen.

Warum die Solidarisierung schwer fällt

Beispielhaft dafür, warum sich insbesondere links-nationalistische Kreise mit einer Solidarisierung schwer tun, ist der Artikel von Nuray Mert in der Tageszeitung Radikal vom 23. Juni 2009. Zwar gesteht Mert der iranischen Opposition durchaus zu, aus internen Gründen gegen das Regime zu demonstrieren. Aber sie bringt doch auch gleich ihre Sorge zum Ausdruck, dass die USA die Vorgänge für ein militärisches Eingreifen im Iran instrumentalisieren könnten und erinnert an das ernüchternde Ergebnis der „bunten“ Revolutionen in Georgien und der Ukraine, hinter denen letztlich ja doch die USA steckten.

Es bleibt noch, dass die demokratisch gesinnte Opposition in der Türkei angesichts zunehmender Repressionen und platter Instrumentalisierung antiwestlicher, orientalistisch-kritischer Stereotype durch das iranische Regime noch zur Besinnung kommt und sich auf die Seite der Menschenrechte stellt – ungeachtet dessen, ob die DemonstrantInnen eine „linke“ Revolution anstreben oder aber „nur“ für Freiheiten kämpfen, für die auch die Opposition in der Türkei seit Jahren eintritt.

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